Warum laufen Rehe vors Auto?

Kurz gesagt: Weil sie nicht so gut gucken können. Das ist aber natürlich nur die halbe Wahrheit.
Selbstverständlich können Rehe gut sehen. Das ist für sie lebenswichtig. Aber Rehe sind, wie auch Hasen, Vögel und viele andere Wildtiere, Beutetiere: Ihre Augen sitzen seitlich, damit sie ein Sichtfeld von fast 360° haben und Fressfeinde aus jedem Winkel kommen sehen. Höchstwahrscheinlich vergrößern ihre Augen auch das Gesehene [1], sodass sie wirklich ganz genau sehen, wer oder was da ein Blätterrascheln im Unterholz verursacht hat.
Übrigens kursiert die Aussage, Blau sei für Rehe eine Schreckfarbe und könne, z.B. als blauer Reflektor an Leitpfosten, die Häufigkeit von Wildunfällen reduzieren. Während einige Kommunen das wohl erfolgreich getestet haben, kommt diese Langzeitstudie [2] zu einem anderen Schluss.
Wir Menschen haben nun, wie andere Raubtiere auch, beide Augen vorn. Das heißt, wir sehen zwar nichts hinter uns, dafür aber sehen wir viel dreidimensional, weil sich die Blickfelder beider Augen überlappen. Beutetiere wie das Reh sehen aufgrund ihrer Augenanordnung nur relativ wenig dreidimensional, nämlich nur Dinge, die sich mehr oder weniger direkt vor ihnen befinden.

Gute Rundumsicht, wenig Tiefenschärfe: Höchstwahrscheinlich ein Beutetier. // Foto: Pezibear auf Pixabay
Und nun kommt das Auto ins Spiel: Die Silhouette eines Autos sieht immer gleich aus, egal wie schnell es fährt. Und das verwirrt das Reh, denn seine natürlichen Feinde müssen entweder schleichen oder springen oder rennen, um näher zu kommen, sprich: Sie bewegen ihren Körper. Und anhand der sich bewegenden Körperteile erkennt das Reh, wie schnell das Raubtier unterwegs ist.
Warum starrt das Reh also ins Licht eines entgegenkommenden Autos? Es versucht schlicht, scharf zu sehen und abzuschätzen, wie schnell das Blechgefährt sich bewegt. Leider ist das Reh manchmal mit seiner Berechnung noch nicht fertig, da wird es schon vom Auto gerammt. Und grelles Licht macht die Sache nicht einfacher: Also bitte bei Wildtieren auf der Straße abblenden.

Diese amöbenartige Form nimmt ein Waschbär nur an, wenn es ihm nicht mehr so gut geht. // Foto: Bernell auf Pixabay
Natürlich werden nicht nur Beutetiere überfahren, sondern auch unerfahrene Raubtiere (wie junge Füchse) sowie Katzen und Igel, die der Geschwindigkeit eines Autos ebenfalls nichts entgegensetzen können. Das Wort Wildunfall bezieht sich aber nur auf Tierarten, die dem Jagdrecht unterliegen: Reh, Hirsch, Wildschwein, Fuchs, Dachs, Hase.
Was tun, wenn es also einen Zusammenstoß gab - statistisch passiert das in Deutschland immerhin alle zwei Minuten? Man sollte die Polizei anrufen, die dann wiederum den oder die zuständige Jagdpächter:in informiert. Das gilt auch, wenn das verletzte Tier in den Wald flüchtet.
Und falls ihr mal ein totes Tier am Straßenrand findet: Nicht mitnehmen oder anfassen. Straßenmeisterei oder Jagdpächter:in sind in der Regel für den Abtransport zuständig. Falls man das tote Tier doch berühren muss, am besten Schutzhandschuhe aus dem Verbandskasten anziehen. Und dem schnüffelnden Hund an eurer Leine solltet ihr lieber keinen Wildtiersnack gönnen, denn tote Wildtiere können Krankheitsüberträger sein.
[1] Ich habe über Pferde, die ja ähnliche Augen haben wie Rehe, gelesen, ihre Augen würde um das fünffache vergrößern. Angesichts der Präzision, mit der Pferde feinste Änderungen in der Muskelspannung und Körperhaltung bei uns Menschen wahrnehmen, auch aus der Entfernung, halte ich das für realistisch. Ich konnte es aber noch nicht an einem Reh testen 😉